Wenn es einen âYogi-Verhaltenskodexâ gĂ€be, wĂ€ren seine Grundlage wahrscheinlich die 5 Yamas und 5 Niyamas aus dem Raja Yoga. Heute möchte ich ĂŒber das erste der 5 Yamas sprechen: Ahimsa, die Gewaltlosigkeit oder das Nicht-Verletzen.Â
Was eigentlich kinderleicht umzusetzen klingt, ist nĂ€mlich gar nicht immer ganz so einfach in den Alltag zu integrieren.Â
Was sind ĂŒberhaupt Yamas?Â
Die fĂŒnf Yamas kommen aus dem Raja Yoga und werden in den Yoga Sutren von Patanjali genauer beschrieben. Sie sollen als âRegelnâ oder âEmpfehlungenâ zum Umgang mit anderen Menschen und Lebewesen dienen.Â
Neben Ahimsa umfassen die 5 Yamas auch Satya (die Wahrhaftigkeit), Brahmacharya (die Keuchheit), Aparigraha (die Unbestechlichkeit) und Asteya (das Nicht-Stehlen).Â
Auf spiritueller Ebene wĂŒrde man sagen, dass die Umsetzung von Yamas und Niyamas als Vorbereitung fĂŒr höhere Bewusstseinsstufen gilt. Ich persönlich wĂŒrde eher sagen: Nicht-Verletzen, Nicht-Stehlen und Nicht-Bestechlich-Sein gehören schlicht zum guten Ton fĂŒr ein harmonisches Zusammenleben.Â
Die Bedeutung von Ahimsa
Der Begriff âAhimsaâ kommt aus dem Sanskrit und bedeutet âGewaltlosigkeitâ, âNicht-Verletzenâ und âKeinem Lebewesen Schaden hinzufĂŒgenâ. Der Grundsatz von âAhimsaâ ist nicht nur eine zentrale Regel fĂŒr Raja-Yogis, sondern findet auch im Buddhismus, Hinduismus und Jainismus, einer alten indischen Religion, Anwendung.Â
Ist âAhimsaâ ein religiöser Begriff?Â
Auch wenn Ahimsa ein zentrales Element im Buddhismus und Hinduismus ist und sogar in den christlichen zehn Geboten âDu sollst nicht tötenâ an Ahimsa erinnert, wĂŒrde ich sagen: Nein, Ahimsa ist kein religiöser Begriff und auch kein religiöses Prinzip. Um Ahimsa zu leben, muss man sich weder einer Religion zugehörig fĂŒhlen, noch an Gott glauben. Eigentlich muss man noch nicht einmal besonders spirituell sein.Â
Um Ahimsa zu praktizieren, reicht ein gesunder Menschenverstand und eine kleine Portion Empathievermögen vollkommen aus.Â
Gegenbeispiele fĂŒr Ahimsa: So funktioniert Gewaltlosigkeit nicht
Nicht-Verletzen klingt eigentlich easy, oder?Â
Ist im Alltag aber manchmal gar nicht so einfach. Bevor wir ein paar Beispiele und Tipps durchgehen, die ich im Alltag nutze, um Ahimsa zu integrieren, möchte ich ein paar Situationen aufzeigen, in denen man jemanden - wissentlich oder unwissentlich - verletzt und damit Ahimsa vernachlĂ€ssigt.Â
Der Klassiker: Die KneipenschlÀgerei
Gerade, wenn Alkohol im Spiel ist, gewinnt das Testosteron die Oberhand, man ist leichter reizbar und beginnt in Nullkommanix, sich mit dem GegenĂŒber zu prĂŒgeln?Â
Ist mir persönlich noch nie passiert, ich wĂŒrde mir bei dem Versuch, jemanden zu verprĂŒgeln, eher beide HĂ€nde brechen und ohnehin jede SchlĂ€gerei verlieren. Beobachtet hab ich solche SchlĂ€gereien aber schon öfter und muss sagen: Es macht schon keinen SpaĂ, dabei zuzuschauen und ist wahrscheinlich mindestens fĂŒr eine der direkten Beteiligten unangenehm und schmerzhaft.Â
Die Lösung liegt auf der Hand: Gehörst du zu denjenigen, deren Hobby es ist, betrunken Unschuldige zu verhauen, lass die Finger von Alkohol. Und fragâ dich bei der nĂ€chsten nĂŒchternen Gelegenheit doch auch direkt einmal, woher der Drang zur Gewalt kommt - normal ist das nĂ€mlich nicht.Â
Gewaltlosigkeit und Nicht-Verletzen hat aber nicht nur etwas mit FaustkÀmpfen zu tun:
LĂ€stern, Beleidigen, Kritisieren
Ob es die Tante ist, die mit einem hĂ€mischen Grinsen im Gesicht fragt, ob man âsicher noch ein zweites StĂŒck Kuchen essen möchteâ, die Mutter, die dem neuen Freund lachend sagt, dass er âwie ein Vogel aussiehtâ, oder der Mathelehrer, der einen mit dem nassen Tafelschwamm bewirft, weil man âzu dumm ist, die Aufgabe zu lösenâ: Worte verletzen, manchmal sogar mehr als der Faustkampf in der KneipenschlĂ€gerei.Â
Gewaltlosigkeit fĂ€ngt also schon bei Worten und Gedanken an - deswegen: Seid achtsam mit euren Worten und Gedanken, ihr wisst nie, was sie in eurem GegenĂŒber auslösen.Â
(An dieser Stelle: Liebe GrĂŒĂe an Tante Edith, ja, ich wollte das zweite StĂŒck Kuchen wirklich noch essen und es war sehr lecker.)
Beispiele fĂŒr Ahimsa: So lĂ€sst sich âNicht-Verletzenâ aktiv in den Alltag integrieren
Schenk der Welt ein LĂ€cheln
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die den Tag von Wildfremden oder Freunden besser machen können.
Sei hilfsbereit
Dein Kollege hat eine Menge zu tun und du hast ein bisschen Luft? Biete ihm deine Hilfe an!Â
Hab Geduld mit deinen Mitmenschen
Wir alle sehen die Welt durch unsere ganz eigenen Augen - da sind MissverstÀndnisse oft vorprogrammiert. Auch wenn ihr nicht immer einer Meinung seid, hab dennoch Geduld mit deinen Mitmenschen und versuche, auch ihre Perspektive zu verstehen.
Behalte deine Gedanken auch mal fĂŒr dich
Schon Bambi hat uns gelehrt: âWenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man den Mund haltenâ. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufĂŒgen :)Â
ErnÀhre dich vegetarisch oder vegan
Ahimsa betrifft nicht nur Menschen, sondern alle Lebewesen - auch die auf deinem Teller. Nicht-Verletzen bedeutet demnach auch, auf tierische Lebensmittel zu verzichten.Â
Kann man Ahimsa âperfektâ leben?
GrundsĂ€tzlich: Bestimmt.Â
Ich persönlich: Ganz bestimmt nicht.Â
Ahimsa perfekt zu leben wĂŒrde bedeuten, ausschlieĂlich selbst angebautes Obst und GemĂŒse zu essen - schlieĂlich werden in der Lebensmittelproduktion oft Insekten verletzt. AusschlieĂlich zu FuĂ unterwegs zu sein und dabei auf jeden Schritt zu achten. Und vor allem: AusschlieĂlich positive Gedanken zu denken, positive Energie auszustrahlen und niemals, auch nicht unbewusst oder unbeabsichtigt, jemanden zu verletzen.
Das klingt, zumindest fĂŒr mich, ziemlich unrealistisch. Ich bin ab und zu launisch, hab zu hohe AnsprĂŒche an mich selbst und an Andere und bin manchmal sehr ungeduldig und schnell spĂŒrbar gereizt. In solchen Momenten bin ich nicht gut darin, Ahimsa zu leben.Â
Aber: Nobodyâs perfect. Was zĂ€hlt ist, dass wir alle versuchen, jeden Tag besser darin zu werden, achtsamer mit unseren Worten und Gedanken sind und vielleicht irgendwann tatsĂ€chlich lernen, bis 10 zu zĂ€hlen, bevor wir wie ein kleiner Vulkan explodieren und all unseren negativen GefĂŒhlen freien Lauf lassen.Â
Wie immer im Yoga gilt also auch hier: Itâs a journey.Â
Gibt es Ausnahmen von Ahimsa?Â
Dass Ahimsa nicht immer perfekt möglich ist, haben wir geklĂ€rt - aber muss es das denn sein? Oder gibt es vielleicht sogar Momente, in denen es keine Gewaltlosigkeit braucht und in denen Gewalt vollkommen in Ordnung ist?Â
Ja, die gibt es!Â
Wer jetzt an die KneipenschlĂ€gerei und an âDer Andere hat angefangen, deswegen darf ich jetzt doppelt zurĂŒckschlagenâ denkt, liegt aber daneben, das ist hier nicht gemeint.Â
Lasst uns zum Abschluss noch ĂŒber ein paar Ausnahmen von Ahimsa sprechen, die völlig in Ordnung sind:Â
Ahimsa fĂŒr Ărzte & Polizisten
Das wohl klassischste Beispiel, das nicht nur in verschiedenen Yoga-Communities, sondern auch in der Yogalehrerausbildung genannt wird, ist die Arbeit als Arzt oder Polizist.Â
Als Arzt musst du schlieĂlich hin und wieder schlechte Nachrichten ĂŒberbringen und je nach Fachgebiet auch hin und wieder jemanden aufschneiden, um ihm zu helfen.Â
Ăbrigens: Eine Ă€hnliche Ausnahme gilt auch unabhĂ€ngig vom Berufsbild, etwa dann, wenn man jemandem bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung die Rippen bricht. Auch hier ĂŒberwiegt der potenzielle Nutzen die Verletzung.Â
Ahimsa fĂŒr Eltern
Auch fĂŒr Eltern, die zum Wohle ihrer Kinder handeln, gilt eine Ausnahme von Ahimsa: Wenn das Kind wirklich nicht zum Zahnarzt möchte oder bitterlich weint, weil es zu Abend lieber Kekse als Brokkoli essen will, ist der richtige Weg fĂŒr Eltern manchmal, strikt die Regeln durchzusetzen.Â
Die Ausnahme von Ahimsa gilt hier natĂŒrlich nur sehr eingeschrĂ€nkt: Körperliche und seelische Gewalt ist dabei tabu und âdurchsetzenâ ist auch nicht gleich âdurchsetzenâ - aber dass man mit Kindern, egal ob es die eigenen oder fremde sind, besonders einfĂŒhlsam umgehen sollte, sollte ja hoffentlich ohnehin klar sein.Â
Ahimsa im Kampfsport
Ein eher ungewöhnliches und doch fĂŒr mich recht alltĂ€gliches Beispiel fĂŒr eine Ahimsa-Ausnahme ist der Kampfsport: Hier wird zwar gekĂ€mpft, aber nach klaren Regeln und ausschlieĂlich auf der Matte.Â
Kampfsport sieht zwar sehr gewalttĂ€tig und oft gefĂ€hrlich und einschĂŒchternd aus, in der RealitĂ€t ist es aber ein extrem technischer Sport und das GegenĂŒber hat jederzeit die Möglichkeit, den Kampf zu beenden - so richtig arg weh tut sich in vielen Kampfsportarten deswegen niemand.Â
TatsĂ€chlich gehören die Menschen, die ich in der Kampfsportarena kennengelernt hab (ich war da natĂŒrlich nur zur Yogastunde), mitunter die nettesten, herzlichsten und hilfsbereitesten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen hab, weswegen Kampfsport sich fĂŒr mich persönlich zur Ahimsa-Ausnahme qualifiziert.Â
Ausnahmen bestĂ€tigen hier wie immer die Regel.Â
Und das ist auch schon die gröĂte Herausforderung mit Ahimsa: Wir alle sind verschieden und machen unterschiedliche Erfahrungen. Mit einer Person kann man flapsige SpĂ€Ăe machen und auch mal auf deren Kosten lachen, eine andere Person fĂŒhlt sich davon ehrlich und tief gekrĂ€nkt. Was fĂŒr den einen Alltag und Humor ist, kann fĂŒr andere ein groĂer Trigger sein.Â
Zum Abschluss möchte ich euch deswegen mitgeben:Â
Versucht nicht, Ahimsa perfekt zu leben. Versucht stattdessen achtsam zu sein, auf euch und eure Umwelt zu achten und Ahimsa unperfekt, aber dafĂŒr jeden Tag in euren Alltag zu integrieren.Â
Und, wenn ihr in der NĂ€he seid: Besucht unbedingt mal das Ahimsa-Restaurant in MĂŒnchen! Die habâ ich bei meiner Recherche zufĂ€llig entdeckt, die Speisekarte klingt extrem lecker und 4,6 Sterne bei 435 Google-Bewertungen können sich echt sehen lassen!Â
Lasst es euch schmecken und alles Gute <3