“Woah, sorry, dafür bin ich zu unbeweglich”, war die erste Reaktion, als mich vor vielen Jahren ein guter Freund in meine allererste Yogastunde schleppen wollte. “Deswegen gehen wir ja dahin", war seine Antwort.
Und auch wenn das genauso gut die Einleitung für einen Blogbeitrag zum Thema “Glaubenssätze” und “ich bin nicht gut genug” sein könnte, reden wir heute über ein ganz anderes, sehr viel einfacheres Thema und klären folgende Fragen:
Kann man für Yoga zu unbeweglich sein? Wird man automatisch flexibler, wenn man regelmäßig praktiziert? Muss ich bestimmte Yoga-Übungen zur Flexibilität machen? Welche?
Und… Für die Ungeduldigen unter uns: Wie lange dauert es, bis man einen Erfolg sieht?
First things first:
Kann man “zu unbeweglich” für Yoga sein?
Nein.
Yoga ist für alle da. Zu stark, zu schwach, zu dick, zu dünn, zu gelenkig, zu ungelenkig, all das gibt’s im Yoga per se erstmal nicht.
Und doch kenne ich diesen Gedanken zu gut und hab mich deswegen selbst lange nicht in den Yogakurs getraut - denn, auch wenn man nicht “zu unbeweglich” für Yoga ist, kann es dennoch sein, dass man “zu unflexibel” für einzelne Asanas ist.
Das ist aber gar nicht schlimm, es gibt nämlich zu jeder Yogaübung auch Alternativen und Varianten, sodass jeder die passende Übung für sich finden und üben kann. Im Yogakurs werden die Alternativen angesagt und man kann selbst und frei entscheiden, welche Variation der Asana man heute üben möchte.
Bevor wir das Thema “kann man zu unbeweglich sein” abschließen, ist es mir wichtig, noch eine Sache zu betonen: Ich weiß wie unangenehm es sein kann, einen Yogakurs zu besuchen, wenn man gerade weniger flexibel ist. Ich weiß, dass man sich fühlen kann, wie der Elefant im Raum und als würde einen jeder anstarren - peinlich! Ich selbst bin beim Start meiner Yogalehererausbildung in der Vorwärtsbeuge nicht mit meinen Fingern zu den Zehen gekommen, nicht mal mit den Fingerspitzen.
Genau deswegen weiß ich auch: Niemanden interessiert’s!
Es ist also ganz egal, wo ihr startet, wichtig ist, dass ihr startet. Also starten wir jetzt - zuerst mit ein bisschen Theorie.
Was ist überhaupt “Beweglichkeit”?
Schauen wir doch zuerst, was Wikipedia dazu sagt:
Die Beweglichkeit im sportmotorischen Sinne ist das Vermögen, körperliche Bewegungen mit einer gewissen Schwingungsweite ausführen zu können. Der mögliche Spielraum der Beweglichkeit wird so von der Gelenkigkeit wie von der Dehnfähigkeit bestimmt und auch als Flexibilität oder Biegsamkeit bezeichnet.
Okay, und was ist Gelenkigkeit?
Als Gelenkigkeit bezeichnet man die individuelle Ausprägung der Schwingungsweite in den Gelenken.
Sie ist anatomisch-strukturell bedingt und variiert von Gelenk zu Gelenk. Die Gelenkigkeit ist eine durch die Konstitution geprägte körperliche Eigenschaft, die jedoch begrenzt trainiert werden kann.
Über Dehnfähigkeit verrät uns Wikipedia leider nichts, deswegen schauen wir uns hier die Definition des bayerischen Leichtathletik-Verbands an:
Die Dehnfähigkeit umfasst die Bewegungsweite der Muskeln, Sehnen, Bänder und. Kapseln.
Wir halten also fest:
Beweglichkeit wird von Muskeln, Sehnen, Bändern, Faszien, Kapseln und Gelenken beeinflusst
Beweglichkeit ist zum Teil durch den Körperbau bestimmt,
Kann aber zu einem großen Teil auch trainiert und damit zurückerlangt werden.
Welche Vorteile hat eine höhere Beweglichkeit?
Bevor wir darüber sprechen, wie wir endlich flexibler und beweglicher werden können, würde ich gern einmal kurz auf das “warum” eingehen. Eine höhere Beweglichkeit ist nämlich nicht nur für ausgefallene Asanas in der Yogastunde cool, sondern hat auch ein paar wirkliche gesundheitliche Vorteile:
Geringeres Verletzungsrisiko
… ist vor allem für die Sportler unter uns interessant, aber auch für alle, die “nur” ab und zu Wandern, Rad Fahren oder ins Fitnessstudio gehen: Durch regelmäßiges Beweglichkeitstraining werden Muskeln, Sehnen und Kapseln dehnbarer und das Risiko, sich zu verletzen, wenn man beispielsweise kurz umknickt, sinkt.
Schmerzlinderung und -Prävention
“Wer rastet, der rostet”, hat meine Oma immer gesagt - und sie hatte nicht ganz Unrecht damit. Wenn’s beim Aufstehen knackt oder wehtut, der Rücken oder die Knie zwicken oder sich (nach einer Verletzung oder auch einfach so) alles nicht mehr so “rund” anfühlt, kann regelmäßiges Mobilitäts- oder Beweglichkeitstraining helfen, Schmerzen zu lindern und, wenn nötig, die Heilung zu unterstützen.
Bessere Körperhaltung
Wahrscheinlich kennt ihr auch alle den klassischen “Ich-Sitz-Den-Ganzen-Tag-Am-Schreibtisch”-Rundrücken, oder? Bei mir persönlich geht das schon so weit, dass ich meine Schultern kaum mehr so richtig zurücknehmen kann und mein Kopf eigentlich immer leicht nach vorn verschoben ist, weil der vordere Teil meiner Muskulatur so verkürzt ist.
Dieses Gleichgewicht könnte ich mit regelmäßigen Dehnübungen wiederherstellen und meine Körperhaltung verbessern.
Klingt gut, oder? Und das waren noch nicht einmal alle Vorteile, nur die Top 3!
Damit wir richtig loslegen können, lasst uns doch direkt mal die wichtigste Frage klären:
Wie wird man denn nun beweglicher?
Das ist tatsächlich eine super spannende Frage, in der die Studienlage sich über die Jahre hinweg regelmäßig geändert hat. Statisches Dehnen, dynamisches oder federndes Dehnen, aktive Dehnung, passive Dehnung, kurze Stretching-Zyklen, Prolonged Stretching, Contract-Hold-Stretch, Contract-Hold-Relax-Stretch, Antagonist-Contract-Stretching, Progressiv-Intermittierendes Dehnen - die Literatur über Trainingslehre und Methodik zum Beweglichkeitstraining ist, gelinde gesagt, umfassend… Oder… Überfordernd.
Aber keine Sorge:
Der (aktuelle) Konsens ist, dass alle Stretching-Formen und -Methoden zu einer höheren Beweglichkeit führen und, entgegen der veralteten Annahme, bei keiner Methode ein höheres Verletzungsrisiko besteht.
Welche Art des Trainings ihr bevorzugt, bleibt also ganz euch überlassen (aber keine Sorge, ich teil’ weiter unten unseren Trainingsplan zur Inspiration). Wichtig sind eigentlich nur folgende Dinge:
Regelmäßig üben: Erklärt sich wahrscheinlich von selbst - von Dehnübungen, die man maximal alle paar Monate mal macht, wird leider niemand so richtig beweglich :( Good News: Schon einmal die Woche macht über einen längeren Zeitraum hinweg einen Unterschied!
Die eigenen Grenzen wahren: Lasst es euch von jemandem sagen, die sich einmal eine sehr, sehr fiese Zerrung aus der Yogastunde mitgenommen hat: Mit Gewalt wird man nicht beweglicher, man tut sich nur weh. Wer stattdessen auf seinen Körper hört und vor der Schmerzgrenze stoppt, kommt schneller ans Ziel.
Gleichmäßig trainieren: Das Ziel ist es, in der Vorwärtsbeuge mit den Handflächen problemlos auf den Boden zu kommen? Cool. Trotzdem sollte man versuchen, sich nicht nur auf eine Muskelgruppe zu fokussieren, sondern möglichst Agonisten und Antagonisten, also die entgegengesetzten Muskeln gleichmäßig zu trainieren, um das natürliche Gleichgewicht zu halten oder wiederherzustellen. Wer seinen Rücken und seine Beinrückseite dehnt, sollte also auch nicht vergessen, anschließend die Beinvorderseiten, den Bauch und den Brustbereich zu dehnen.
Jetzt ist das hier ein Yoga-Blog - also klar, dass Yoga alle Boxes checked und damit das perfekte Flexibilitäts-Training sein kann. Aber… funktioniert das eigentlich wirklich, kann man mit Yoga beweglicher werden? Und braucht es dafür ein bestimmtes Training, oder reicht es, eine Standard-Yogaroutine zu praktizieren?
Das finden wir jetzt - endlich - raus!
Beweglicher werden mit Yoga: Geht das?
Yep, das geht.
Woher ich das weiß? Ich war super, super unbeweglich und zum Ende meiner Yogalehrerausbildung war ich’s nicht mehr.
Wer regelmäßig Yoga im Sinne von Asanas praktiziert, bekommt das Gesamtpaket aus Krafttraining, Gleichgewichtstraining, Ausdauertraining und Flexibilitätstraining und kann so alle Bereiche verbessern und weiterentwickeln.
…
Wenn ihr bis hierhin aufmerksam mitgelesen habt, ist euch aber vielleicht eine Sache aufgefallen: Ich hab in diesem Blogbeitrag sehr oft Formulierungen wie “wenn man xy tut” oder “xy kann helfen” genutzt. Diese Formulierungen waren - leider - sehr bewusst gewählt. Denn auch wenn ich aus eigener Erfahrung weiß, wie wichtig eine regelmäßige Routine ist und wie sehr mir ein regelmäßiges Mobilitätstraining helfen würde, finde ich mich in der Realität doch viel zu selten auf der Matte wieder und bin deswegen aktuell so steif, eingerostet und unbeweglich wie schon lange nicht mehr.
“Aber du bist doch Yogalehrerin 😯”
Ja, aber das hilft nicht viel, wenn man am Ende seine eigene Praxis vernachlässigt.
Das Gute ist: Ich weiß, dass es besser werden kann und ich weiß sogar, wie. Und: Morgen ist Neumond! Die perfekte Gelegenheit also, neue Routinen einzuführen oder alte Routinen (wie zum Beispiel Yoga) wiederzuentdecken.
Anders gesagt: Die perfekte Gelegenheit für eine kleine 30-Tage Challenge! Für die nächsten 30 Tage werde ich also jeden Tag zumindest für ein paar Minuten Yoga-Übungen für mehr Flexibilität machen und meinen Fortschritt hier dokumentieren. Und weil es zu zweit immer besser ist, hat mein Mann sich bereit erklärt, mitzumachen.
Ich teile euch hier unsere Übungspläne und beantworte die wichtigsten Fragen zu unserer neuen Yoga-Routine - und dann sehen wir uns einmal die Woche zum Check-In mit Vorher-Nachher-Fotos wieder!
Vorher:
Das ist der aktuelle Stand, ohne jegliche Übung und auch ohne Haltungs-Korrekturen für die Fotos - eben einfach so, wie es aussieht, wenn wir ganz ohne Korrektur, Anleitung oder Spiegel eine Vorwärtsbeuge versuchen.
Ich denke, wir brauchen nicht darüber reden, dass das ganz und gar nicht gut aussieht. Deswegen: Mal sehen, wie unsere "Nachher"-Fotos in 4 Wochen aussehen werden :) See you then!
Woche 1:
Wir starten gerade erst, das nächste Update kommt am 21. Oktober - stay tuned :)
Woche 2:
Woche 3:
Woche 4:
Fazit:
Unsere Yoga-Übungen für mehr Beweglichkeit
Flow 1:
Kindchenstellung
Katze-Kuh
Nadelöhr
Herabschauender Hund
Kobra
Sitzende Vorwärtsbeuge
Drehsitz
Schmetterlingsstellung
Fisch
Liegende Taube
Flow 2:
Berghaltung
Baum
Stehende Vorwärtsbeuge
Herabschauender Hund
Taube
Herabschauender Hund
Über Plank ablegen
Kobra
Heuschrecke
Kindchenstellung
Katze Kuh
Twist im Vierfüßler
Kindchenstellung
Dreieck
Flow 3:
Herabschauender Hund
Deep Lunge
Gedrehter Deep Lunge
Herabschauender Hund
Deep Lunge
Gedrehter Deep Lunge
Herabschauender Hund
Stehende Vorwärtsbeuge
Deep Squat
gegrätschte Vorwärtsbeuge rechts / links / mitte
Schulterbrücke
Rückenrollen
Kobra / Sphinx
Kindchenstellung
Schulter / Nackenübungen
Wie lange muss man täglich Yoga machen, um beweglicher zu werden?
Hier gilt wie immer: Jede Minute zählt! :)
Fabis Übungsplan habe ich auf fünf Minuten täglich ausgelegt, meinen eigenen auf ca. 15 bis 20 Minuten am Tag. Viel wichtiger als die Länge ist die Regelmäßigkeit.
Wenn ihr also 5 Minuten täglich Zeit habt - cool! Wenn ihr es alle zwei Tage 15 Minuten lang schafft - super! Wenn es alle zwei Tage fünf Minuten und einmal wöchentlich eine Stunde wird - auch gut!
Zu welcher Tageszeit sollte ich am besten Yoga üben?
Das ist ganz egal. Morgens bringt ein kleines Stretching-Programm den nötigen Schwung für den anstehenden Tag - allerdings ist man morgens in der Regel weniger flexibel. Abends ist man meist etwas beweglicher und eine kleine und ruhige Dehnungs-Session lässt sich perfekt in die Abendroutine integrieren, allerdings lockt nach einem anstrengenden Arbeitstag auch oft die Couch und der innere Schweinehund ist besonders groß.
Was ich damit sagen will: Jede Tageszeit hat ihre Vor- und Nachteile und die richtige Zeit ist die, die in den eigenen Tagesablauf passt.
Wie lange dauert es, bis man die ersten Erfolge sieht?
Das kommt ganz darauf an, wie regelmäßig man übt :)
Vor meiner Yogalehrerausbildung war ich einmal wöchentlich im Yogakurs und konnte nach einigen Monaten die ersten kleinen Erfolge sehen. Wer täglich übt, sollte innerhalb einiger Wochen die ersten Veränderungen spüren.
Meine liebsten Stretching–Flows auf Youtube
Für unser 30-Tage-Experiment hab ich eigene Yogaflows ausgearbeitet und wir halten uns an die Routine, die weiter oben beschrieben ist. Für die Wissenschaft sozusagen :)
Manchmal hat man aber auch einfach Lust auf Anleitung und Abwechslung - wenn man nicht zufällig ein cooles Yogastudio genau um die Ecke hat, das zufällig genau dann eine Stretching-Einheit anbietet, wenn man Lust und Zeit dafür hat, ist für die meisten Youtube der erste Anlaufpunkt.
Deswegen möchte ich euch hier zum Abschluss noch meine liebsten Stretching- und Mobility-Flows auf Youtube mitgeben.